Wenn Krisen und Populismus die Demokratie gefährden

Published On: 28. Oktober 2024

Diskussion und Kinoabend: Das RWTH-Filmstudio und der Knowledge Hub zeigen am Dienstag, 29. Oktober, den Film „Die zwölf Geschworenen” und laden zu einer Diskussion rund um Demokratiemüdigkeit ein.

Eine Mitteilung der RWTH Aachen

Der Film „Die zwölf Geschworenen“ ist ein Gerichtsdrama über Gerechtigkeitsempfinden, die Komplexität des menschlichen Denkens und den Umgang mit Vorurteilen. In dem Film entscheidet eine Jury über das Schicksal eines jungen Einwanderers, der seinen Vater ermordet haben soll. Im Fokus steht aber nicht das Urteil selbst, sondern der demokratische Prozess unter den Geschworenen. Zwölf Individuen, jeder mit eigenen Überzeugungen und Vorurteilen, müssen sich in einem offenen Diskurs auf einen Konsens einigen. Dabei wird deutlich, wie entscheidend es ist, Argumente abzuwägen, alternative Perspektiven zu berücksichtigen und letztlich im Sinne des Gemeinwohls zu handeln.

Diese Dynamik spiegelt im Kleinen wider, was eine funktionierende Demokratie im Großen ausmacht: die Fähigkeit, Meinungen auszutauschen, Kompromisse zu finden und auf Basis von Diskussionen tragfähige Entscheidungen zu treffen. Doch wie im Film, wo die anfangs klare Mehrheitsmeinung durch den Diskurs ins Wanken gerät, erleben auch Demokratien Zeiten, in denen das Vertrauen in ihre Mechanismen abnimmt und eine gewisse Demokratiemüdigkeit einsetzt.

Vor Beginn des Films gibt es eine kurze Diskussionsrunde mit Dr. David Terwiel und Caner Doğan vom Institut für Politische Wissenschaft der RWTH, in der diese Aspekte aus Expertensicht erläutert werden. Im Interview geben die beiden Politikwissenschaftler bereits einen Vorgeschmack auf die Veranstaltung und sprechen über Demokratiemüdigkeit und Demokratie im Allgemeinen.

Dr. Terwiel, was ist Demokratiemüdigkeit und wo kommt sie her?

Terwiel: Es ist kein wissenschaftlich fester Begriff, der empirisch geprüft wurde und manche würden sagen, dass wir sogar in hochgradig politisierten Zeiten leben. Mit Demokratiemüdigkeit ist eine besondere Art der Demokratiegefährdung gemeint, die nicht kraftvoll-revolutionär oder von äußeren Feinden kommt, sondern eher auf ein schleichendes Problem im Inneren verweist, auf die Kraftlosigkeit derjenigen demokratischen Kräfte in Politik und Bürgerschaft, die die Demokratie stützen. Man könnte damit also Probleme wie geringere Partizipationsbereitschaft und abnehmende Bürgertugenden adressieren. Insofern finde ich den Begriff nah an Begriffen wie „Politikverdrossenheit“ – nur etwas spezifischer auf das demokratische System gemünzt.

Woher sie kommt, ist nicht so leicht zu sagen, zumal nicht klar ist, ob sie überhaupt vorliegt. Aber theoretisch gesprochen gibt es in der republikanischen Theorietradition immer schon das sehr überzeugende Argument, dass alle politischen Systeme dazu tendieren, ihren Gründungsgeist mit der Zeit zu verlieren und dass es darauf ankommt, ihn zu erneuern. Es liegt also im Wesen der Sache selbst, dass es immer zu Müdigkeit kommt und es ist eine Daueraufgabe der Bürgerinnen und Bürger und der Politik, die Demokratie zu erfrischen.

Was geschieht, wenn es nicht gelingt die Demokratie zu erfrischen? Können Demokratien sterben?

Doğan: Natürlich können Demokratien auch sterben. Jedes politische System kann zugrunde gehen, das weiß man seit der Antike. Aristoteles ging sogar davon aus, dass es eine Art natürlichen Kreislauf von politischen Systemen gibt. Darüber hinaus ist es aber gar nicht so einfach zu sagen, wann eine Demokratie wirklich kippt. Ist Ungarn eine Demokratie? Ist die Türkei eine? Die uns naheliegendste Demokratie, die zugrunde gegangen ist, ist natürlich die erste deutsche Demokratie, die Weimarer Republik.

Terwiel: Weimar war eine sogar recht fortschrittliche Demokratie. Ihr Niedergang lag größtenteils an der Tatkraft ihre vielen Feinde. Fraglich ist aber insbesondere, ob Demokratien heute auf die gleiche Art und Weise untergehen oder ob es neue Formen von Gefahren gibt. Ob also eine jahrzehntelang etablierte Demokratie anderen Gefahren ausgesetzt ist als eine junge Demokratie.

Inwiefern ist die heutige Situation mit der Weimarer Republik vergleichbar? Ist auch unsere Demokratie gefährdet?

Terwiel: Prinzipiell ist die Weimarer Republik schon mit der heutigen Bundesrepublik Deutschland vergleichbar. Genau das geschieht auch im politischen Diskurs, um vor einem gewissen Gefahrenszenario zu warnen. Wissenschaftlich halte ich das aber für nicht zielführend, zumindest nicht, wenn man daraus etwas für die heutige Situation ableiten will.

Aber natürlich ist auch unsere Demokratie gefährdet, weil Demokratien – wie jedes politische System – immer gefährdet sind. Den Zustand eines ein für alle Mal stabilen und sicheren Systems gibt es nicht. Man kann sich auch auf eine institutionell gut eingerichtete Demokratie nicht einfach verlassen, sondern muss sich dafür einsetzen. Es gibt immer Herausforderungen, die gelöst werden müssen. Dazu zählen die zahlreichen Krisen wie Klima, Flucht und Krieg ebenso wie der Rechtspopulismus in Deutschland bzw. Europa und ganz akut in den USA durch Donald Trump.

Rechtspopulismus ist insbesondere auch auf den Social Media-Plattformen ein verbreitetes Problem. Wie beeinflussen soziale Medien generell die Demokratie?

Doğan: Seit dem Aufkommen der sozialen Medien hat sich die politische Landschaft grundlegend verändert. Soziale Medien haben einen tiefgreifenden Einfluss auf die menschliche Psyche und Meinungsbildung. Sie begünstigen eine verkürzte Aufmerksamkeitsspanne, Gereiztheit und Einsamkeit und ermöglichen es dem Einzelnen, die eigene Meinung durch anonyme Kommentare ungefiltert an eine breite Öffentlichkeit zu senden – ohne Verantwortung dafür übernehmen zu müssen. Dadurch haben die Möglichkeiten für Desinformation und Propaganda dramatisch zugenommen.

Wie schätzen Sie die Zukunft der Demokratie weltweit ein? Glauben Sie, dass sie sich weiterentwickeln oder eher zurückgehen wird?

Terwiel: Eine seriöse Einschätzung gerade weltweit ist mir nicht möglich, aber es gibt Indizien in beide Richtungen. Die aktuelle Zeit ist voller Herausforderungen und es wird sich zeigen, ob die Demokratien in der Lage sind, diese Herausforderungen zu meistern.

 

Eckdaten:

Filmvorführung & Diskussion
Dienstag, 29. Oktober, 20.15 Uhr
Aula des Hauptgebäudes der RWTH Aachen
Templergraben 55, Aachen

Tickets zur Veranstaltung kosten 3,50 Euro und können an der Abendkasse sowie im Vorverkauf erworben werden.