Heftige Streitigkeiten in der AfD nach Treffen in Aachen
Was haben die Vorfälle rund um ein AfD-Treffen mit einer extrem rechten Europaabgeordneten in Aachen mit parteiinternen Auseinandersetzungen in der AfD zu tun? Wir beleuchten die Hintergründe.
Von Michael Klarmann
Das Treffen von Vertretern der AfD und ihres Jugendverbandes „Junge Alternative“ (JA), die Gegenproteste und ein Großeinsatz der Polizei hatten am Sonntag für großes Aufsehen gesorgt. AfD und JA, Gegendemonstranten und Polizei geben sich in Medienberichten und Stellungnahmen gegenseitig die Schuld an der Eskalation.
Aber auch in der AfD selbst rumort es, denn sowohl im Landesverband NRW als auch im Kreis- und Stadtverband Aachen werden zum Teil sehr harte Flügelkämpfe ausgetragen. So warf ein Funktionär aus Eschweiler in einer Debatte unter Parteimitgliedern via Facebook dem Organisator der Aachener Veranstaltung vor, als Selbstdarsteller zu agieren. Er habe eigenmächtig und „sensationsgeil“ gehandelt und dadurch sogar die Antifa auf den Plan gerufen.
Damit habe er Mitglieder und die Europaabgeordnete gefährdet, so der Funktionär aus Eschweiler, zugleich Mitarbeiter in der AfD-Landesgeschäftsstelle in Düsseldorf. Die Aachener Antifa gilt unter AfD-Vertretern als besonders robust und rabiat, wenn es zu Gegenprotesten kommt. Eine Aachener AfD-Frau und Besucherin des Abends hingegen deutete in der Debatte an, dass das „Leck“ eher dort zu suchen sei, wo andere dem Veranstalter „schaden“ wollten. Ihm nicht wohlgesonnene Parteifreunde hätten den Ort des Treffens wohl durchgestochen, sodass der politische Gegner davon erfahren habe, deutete die Seniorin zudem an.
Enormes Selbst- und Sendungsbewusstsein
Der Organisator des Treffens, Ferhat S., hat familiär türkische Wurzeln. Er agierte als TikToker und Redner auf Kundgebungen äußerst radikal gegen Geflüchtete: gegen straffällig gewordene Migranten, gegen Antifaschisten, Linke und Grüne. Für die AfD wurde er erst vor einigen Monaten aktiv – als Influencer, zeitweise Betreiber einer parteinahen „Nachrichtenseite“ und aufgrund seiner Migrationsgeschichte war er für die in Teilen fremdenfeindliche Partei interessant.
Nachdem am 4. August in Aachen zwei Soldaten in Zivil in der Nähe einer Kaserne von Unbekannten angegriffen worden waren , verbreitete S., die Täter seien „einige Leute von der Antifa“. Das Video erzielte eine hohe Reichweite – allerdings war S. bis dahin wohl der einzige, der über solche vermeintlich exklusiven Informationen verfügen wollte. Die örtlichen AfD-Verbände verbreiteten solche Nachrichten nicht weiter.
S. wird ein enormes Selbst- und Sendungsbewusstsein nachgesagt. Schon nach kurzer Mitgliedschaft wurde er als Beisitzer in den Vorstand des AfD-Stadtverbands Aachen gewählt. Dieser ist formal dem Kreisverband unterstellt, und nach vorangegangenen, die Parteiarbeit nahezu komplett lahm legenden Flügelkämpfen sollten die Aachener Mitglieder zunächst nicht allzu eigenständig agieren können. S. hingegen vernetzte sich mit der extrem rechten AfD-Jugend und will eine eigene JA-Ortsgruppe für Aachen gegründet haben.
Das Treffen am Sonntag war sozusagen die erste größere Auftaktveranstaltung der JA Aachen, die JA Köln bezeichnete es als „Stammtisch“ des JA-Bezirksverbands Köln. Neben der extrem rechten Europaabgeordneten Irmhild Boßdorf aus Königswinter waren auch AfD- und JA-Funktionäre rund um den Bezirksvorsitzenden aus dem Großraum Köln sowie aus Heinsberg angereist. Rund 30 Parteifreunde sollen bei Boßdorfs Vortrag im Gewölbekeller einer Pizzeria anwesend gewesen sein – nach yonu-Recherchen sowohl Mitglieder der regionalen und Aachener AfD als auch solche der JA.
Gegen die Grundsätze der AfD verstoßen
Es verwundert bei alldem, dass sich kurze Zeit später der AfD-Kreisverband Aachen offiziell dazu bemüßigt fühlte, mittels einer Pressemitteilung etwas „klarstellen“ zu wollen. Nämlich „dass gegen Herrn Ferhat [S.] ein Parteiausschlussverfahren läuft“. Ein solches werde eingeleitet, um „Personen [die] gegen die Grundsätze der AfD verstoßen, zur Rechenschaft“ zu ziehen. „In diesem Zusammenhang sei zu erwähnen, dass Herr [S.] kein amtierender Politiker der AfD ist, weder in Aachen noch in NRW.“
S. konterte mit einer eigenen Stellungnahme. Von einem Ausschlussverfahren wisse er nichts, der Kreisvorstand hingegen handele undemokratisch. „Um diesen Missständen entgegenzuwirken, habe ich bereits einen Sonderparteitag initiiert, der zum Ziel hat, den Kreisvorstand neu zu wählen. Ich werde mich auch selbst zur Wahl stellen.”
Bereits Mitte September hatte S. mitgeteilt, er distanziere sich „ausdrücklich und maximal von der Führung unseres Kreisverbandes“. Gegen ihn laufe eine „parteiinterne Hetzkampagne“. Aus Debatten ging dabei hervor, dass S. auch in die Nähe der rechtsextremen türkischen „Grauen Wölfe“ gerückt wurde.
All dies deutet auf einen Machtkampf hin, der jedoch schon ein Vorspiel zu den Kommunalwahlen 2025 ist. Dabei geht es weniger darum, welches der verfeindeten Lager moderater oder radikaler auftritt. Alle involvierten Parteiflügel sind sich in ihrer Agitation sehr ähnlich. Nach dem Zerwürfnis über die Alleingänge verließ S. nach eigenen Angaben schon vor Wochen den Vorstand des Stadtverbandes. Parallel baute er JA-Strukturen auf und knüpfte Kontakte zum extrem rechten Parteispektrum.
Und während der neu gegründete Stadtverband Aachen mit den beiden bisherigen AfD-Ratsmitgliedern in Aachen kaum harmoniert und offenbar mit einer eigenen Liste von Parteimitgliedern zur Wahl 2025 antreten will, plante S. zugleich seinen Wahlantritt, möglicherweise mit ihm selbst als Spitzenkandidaten. Die Netzwerkarbeit und der Aufbau von JA-Strukturen dient also dazu, ihm im parteiinternen Machtkampf eine Hausmacht zu schaffen. Resultat davon waren am Ende auch die Vorfälle in der Pontstraße.
Titelbild: Auch die Omas gegen Rechts protestierten vor Ort gegen das Treffen der AfD in der Pontstraße. (Foto: Michael Klarmann)