Selbstbestimmung: Gesetz tritt in Kraft, Debatte geht weiter
Zum 1. November tritt in Deutschland das Selbstbestimmungsgesetz in Kraft. Seit dem 1. August können Menschen eine Erklärung abgeben, dass sie ihr Geschlecht und den Vornamen ändern wollen. Dass es noch immer Vorbehalte gegen dieses Recht auf geschlechtliche Selbstbestimmung gibt, zeigt auch ein Vorfall in Aachen.
Von Alexander Plitsch
Gleich am ersten Tag der Neuregelung sind beim Standesamt Aachen 26 Anträge zur Erklärung nach dem Selbstbestimmungsgesetz eingegangen, wie die Stadt Aachen mitteilte. Davon haben sieben Personen den Antrag persönlich gestellt, 19 nutzten die Möglichkeit des schriftlichen Antrags. Infos und Terminvergabe sind auf der Website der Stadt zu finden.
Weitere Infos zu den Rahmenbedingungen und den Regeln für die Wahl von Vornamen gibt dieser FAQ-Artikel der Tagesschau im Überblick.
Das Selbstbestimmungsgesetz ersetzt das Transsexuellengesetz (TSG), das 1981 in Kraft trat und mehrfach vom Bundesverfassungsgericht als in Teilen verfassungswidrig erklärt wurde.
Das neue Gesetz stößt auf viel Zuspruch, aber auch auf Kritik – das lässt sich sehr gut in der Zusammenfassung der Expertenanhörung des Bundestages nachvollziehen. Zum einen gibt es unter denen, die den Vorstoß der Bundesregierung begrüßen, kritische Stimmen zu einzelnen Regelungen des neuen Gesetzes. Auf der anderen Seite wird vor Risiken im Jugendschutz und vor einer Gefahr für Schutzräume von Frauen gewarnt.
Neben sachlicher Kritik am Gesetz gibt es – wie bei diesem Thema nicht anders zu erwarten – auch viel Ressentiments und Transfeindlichkeit in den Kommentaren. Alice Weidel, AfD-Bundesvorsitzende, sprach von „Trans-Pop-Kultur” – der AfD-Bundestagsabgeordnete Martin Reichardt von „Gender- und Queer-Wahn”.
Kommentar vergleicht Trans*-Rechte mit Corona
In der Aachener Zeitung schaltete sich Redakteur Benjamin Wirtz mit einem Kommentar in die Debatte ein und schrieb: „Befindlichkeiten scheinen heute oft wichtiger zu sein als Tatsachen.“ Weiter führte Wirtz aus, es könne gefährlich werden, „Gefühle über wissenschaftlich nachweisbare Fakten zu stellen. Das hat auch die Corona-Pandemie gezeigt. Wenn jemand das Gefühl hat, nicht mit einem ansteckenden Virus erkrankt zu sein, heißt das eben nicht, dass er nicht erkrankt ist und andere nicht gefährden kann.”
In einer Stellungnahme auf Instagram reagierte der Rainbow e.V.: „Die eigene Identität derart in Frage zu stellen – und das teilweise bereits seit Kindestagen -, stellt eine psychische Belastung dar, die für Außenstehende kaum vorstellbar ist. Dazu kommen meist negative Reaktionen der Gesellschaft. Neben sozialer Ächtung berichten Betroffene zum Beispiel von Problemen im Alltag, zum Beispiel im Job oder bei der Wohnungssuche, oftmals auch von psychischen und physischen Angriffen. Alles nur gefühlt, Herr Wirtz? Nein!”
In einem offenen Brief an die Aachener Zeitung fordert eine Gruppe von Organisationen die Rücknahme des Kommentars und eine öffentliche Entschuldigung. „Die Veröffentlichung eines solchen Kommentars lässt sich auch nicht mit einem Hinweis auf eine offene Diskussion rechtfertigen. Eine offene Diskussion besteht nicht darin, menschenunwürdiger Rhetorik Platz zu bieten!”
Unterzeichnet wurde der offene Brief unter anderem vom Kreisverband der Partei Die Linke in der StädteRegion Aachen, vom Queerreferat der Aachener Hochschulen sowie den Jugendorganisationen mehrerer Parteien.