Bettelverbot ist beschlossene Sache
Mit einem integrierten Konzept will die Stadtverwaltung gegen aggressives Betteln und offenen Drogenkonsum in der Innenstadt vorgehen. In einem Bürgerforum hat sie das Konzept vorgestellt, der Stadtrat hat es nun beschlossen.
Von Calvin Meyer und Alexander Plitsch
Betteln und Drogenkonsum sind Phänomene, die zum Stadtbild einer Großstadt wie Aachen gehören. „Problembereiche” wie Kaiserplatz und Bushof sind immer wieder auch Thema der Politik gewesen – zuletzt ist zudem das Viertel rund um die Promenadenstraße stärker in den Fokus gerückt. In einer Dialogveranstaltung hat sich die Verwaltung dort kürzlich die Sorgen von Anwohnern und Einzelhändlern angehört.
Seit der Corona-Pandemie habe sich die Situation verschlechtert und auf weitere Teile der Stadt ausgeweitet, sagt die Verwaltung. Es gebe zunehmend Beschwerden aus der Bevölkerung, aus dem Einzelhandel und aus der Gastronomie. Die Verwaltung spricht von einer „zunehmenden Negativspirale an organisiertem Drogenhandel, Beschaffungskriminalität, Beschaffungsprostitution und aggressiver Beschaffungsbettelei“. Es zeige sich außerdem eine „deutliche Zunahme von Verschmutzungen und illegalen Lagern, was zu wachsender Verärgerung und einem Gefühl der Ohnmacht in der Zivilbevölkerung führt“.
Auf Basis dieser Analyse hat die Verwaltung ein „Integriertes Konzept für Attraktivität und Sicherheit” erarbeitet und will den Problemen mit einem ganzheitlichen Ansatz begegnen. In einem öffentlichen Bürgerforum wurde das Konzept vorgestellt und diskutiert.
Sicherheit, Ordnung, Sauberkeit
Das integrierte Konzept besteht aus vier Bereichen: Ordnungspolitische Maßnahmen, sozialpolitische Maßnahmen, Maßnahmen im öffentlichen Raum, Kommunikation und Sensibilisierung. Großer Wert wird darauf gelegt, diese Bereiche aufeinander abzustimmen.
Eine neue Straßenverordnung soll in den besonders stark betroffenen Gebieten das Betteln im Umkreis von fünf Metern um bestimmte Einrichtungen gänzlich verbieten. Dazu gehören u.a. Geschäfte, Restaurants, Bushaltestellen und Geldautomaten. Selbst passives Betteln ist in diesen Bereichen nicht mehr gestattet. Die Stadt bietet außerdem an, sich Ordnungsrechte von Hausbesitzern übertragen zu lassen. Platzverweise können dann auch ausgesprochen werden, wenn Personen sich auf Privatgrundstücken befinden.
Die Sozialarbeit soll durch die Einrichtung einer neuen Koordinationsstelle besser organisiert werden. Mehr Straßensozialarbeiter werden ebenfalls eingestellt. Diese können entgleisten Menschen helfen – Obdachlose und Abhängige sind gegenüber Sozialarbeitern oft kooperationsbereiter als gegenüber Ordnungsbeamten. Auch der Bau neuer öffentlicher Toiletten ist vorgesehen.
Plätze sollen so unangenehm wie möglich für Abhängige gemacht werden – zugleich sollen das Sicherheitsgefühl und die Aufenthaltsqualität der Allgemeinheit verbessert werden. Bessere, teilweise auch reaktive Beleuchtung gehört dazu – oder auch die Beschallung von Angsträumen mit klassischer Musik. Das freie WLAN soll an manchen Stellen begrenzt werden.
Eine Ersatzwährung für Bettler, der „Aachen-Taler”, soll eingeführt werden. Unter der Kampagne „Hilf – aber richtig” sollen Touristen und Aachener aufgeklärt werden, dass Spenden an Bettler vor allem den Drogenkonsum finanzieren. Wer spenden möchte, soll dies mit den Talern tun, die im lokalen Handel nur gegen Nahrung oder Hygieneprodukte eingetauscht werden können.
Lob und Kritik – die Reaktionen
„Es ist kein Hundert-Meter-Lauf, sondern ein Marathon”, sagte Sozialdezernent Thomas Hissel im Bürgerforum über das Paket. Die Stadt sei sich bewusst, dass das Konzept die Probleme nicht sofort beseitigen können. Es werde aber eine neue Grundlage geschaffen, um die Situation überhaupt angehen zu können. Den Erfolg der Maßnahmen will die Verwaltung durchgängig beobachten, um Rückschlüsse zu ziehen und das Konzept anzupassen. „Kritisch, ehrlich, transparent”, soll dieser Prozess sein, so Oberbürgermeisterin Sibylle Keupen.
Aachen nimmt sich mit dem Konzept auch ein Vorbild an anderen Städten, unter anderem Basel. Dort wurden ähnliche Maßnahmen umgesetzt, an denen sich Aachen jetzt orientiert. Kritisch äußerte sich dazu Bürgermeisterin Hilde Scheidt (Grüne). Trotz ihrer Zustimmung zum Konzept machte sie darauf aufmerksam, dass die Wirksamkeit des „Modells Basel“ umstritten sei. Ganz zu schweigen davon, dass Basels Konzept in Teilen vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zurückgewiesen wurde, weil es das Aufenthaltsrecht unrechtmäßig einschränkte.
Im Publikum beim Bürgerforum gingen die Meinungen auseinander. Manche befürchteten, dass ein zu großer Wert auf Abschreckung statt Hilfe gelegt wird – dadurch würden bettelnde Menschen und Drogenabhängige entmenschlicht. Auch werde das Problem so nicht gelöst, sondern nur aus den bisherigen Angsträumen anderswohin verlagert. Andere bezweifelten, dass härtere Regeln bei schon jetzt starkem Personalmangel im Ordnungsamt überhaupt durchgesetzt werden können.
Viele äußerten sich aber auch positiv und zeigten sich froh, dass die Stadt sich nun diesem Problem widmet. Auf das Bürgerforum folgte in den vergangenen Wochen der politische Beratungsprozess – das Konzept wurde in der Bezirksvertretung Mitte, in drei Ausschüssen und schließlich im Stadtrat diskutiert.
Stadtrat stimmt dem Konzept zu
Im Stadtrat fand das Konzept in dieser Woche eine große Mehrheit. Gegen das Konzept in seiner jetzigen Form stimmte die Fraktion Die Zukunft: Trotz der Bemühungen, den Herausforderungen der Innenstadt zu begegnen, habe man erhebliche Bedenken bezüglich der vorgeschlagenen Maßnahmen, insbesondere im Hinblick auf soziale Gerechtigkeit, Grundrechte und die langfristige Wirksamkeit.
Die ordnungspolitischen Maßnahmen, insbesondere die Bettelverbotszonen, zielten darauf ab, bestimmte Gruppen, wie etwa Wohnungslose, Suchtkranke und bettelnde Menschen, aus dem Stadtbild zu verdrängen, schreibt die Fraktion in einer Stellungnahme. „Dies kriminalisiert marginalisierte Bevölkerungsgruppen, ohne ihnen echte Lösungen anzubieten. Stattdessen brauchen diese Menschen soziale Unterstützung und integrative Maßnahmen, die über kurzfristige Repressionen hinausgehen.“
Im Gegenzug blieben die geplanten sozialpolitischen Maßnahmen „in ihrer Dimension weit hinter dem Bedarf zurück”. So gehe das Konzept nicht auf tiefer liegende Ursachen der Probleme ein, etwa Wohnungsmangel, Armut und fehlende Unterstützungssysteme.
Auch die geplanten Maßnahmen in Angsträumen, etwa Beschallung durch Musik und die Einschränkung von öffentlichem WLAN, sieht die Fraktion sehr kritisch: „Diese Maßnahmen zielen darauf ab, bestimmte Bevölkerungsgruppen zu vertreiben, anstatt ihnen alternative Perspektiven zu bieten. Dies ist inakzeptabel in einer Stadt, die sich sozial und inklusiv geben möchte.”
Bild: Sozialdezernent Thomas Hissel stellte das Konzept der Verwaltung im Bürgerforum vor. (Foto: Heike Lachmann)