Aixponic Oecher Doraden

Fische in Seenot, Aachen hilft

Published On: 11. November 2024

Ein neues Buch zeigt uns die gewissenlosen Raubzüge der Industrie in immer leerer gefischten und verseuchten Meeren. Und wo kommen die besten Doraden her? Aus Aachen.

Von Bernd Müllender

„Hier geht’s aufs Meer“, sagt Peter Becker lächelnd und weist den Weg zu zwei großen Containern im Hinterhof, die nun aber auch gar nichts mit Meer, Tiefsee oder Strand zu tun haben. Drinnen ist es schön warm, Wasserpumpen machen etwas Lärm. In drei türkisfarbenen Becken schwimmen in 70.000 Litern Wasser viele tausend Doraden, im kleinsten Becken sausen die kleinsten der Tiere eng aneinander im Kreis. 5.600 sind es, kaum fünf Zentimeter lang. „Doraden sind Schwarmfische“, sagt Becker. „Wir ermöglichen ihnen beste Lebensbedingungen“.

Die Container stehen in Avantis, dem deutsch-niederländischen Gewerbegebiet im Nordwesten von Aachen, fast 200 Kilometer Luftlinie vom nächsten Meerwasser entfernt. „Öcher Doraden“, so nennt Beckers Firma Aixponic die Fische. Becker ist einer der drei Ideengeber und Betreiber dieser Zuchtanlage. der Betrieb ist für alle noch ein Nebenjob, abgesehen von immerhin einem Angestellten.

150 bis 250 Tiere verkaufen sie jede Woche im Abo, an Privatleute und an gute Restaurants, in Aachen etwa an den Quellenhof und die Kochnische, dazu nach Frankfurt und Freiburg. Manchmal gibt es sie auch im Freiverkauf bei Fisch Zegel neben dem Tivoli.

„Im Schwitzkasten der Klimakrise“

In den Meeren selbst geht es den Fischen weltweit weit weniger gut. „Ihr braucht die Plastiktüten nicht wegzuwerfen, würzt sie gut und esst sie einfach auf, denn sie landen ohnehin auf euren Tellern.“ So wird ein Ozeanograph zitiert, im neuen Buch „Fisch in Seenot“, wie wir uns beispielsweise mit Mikroplastik in Thunfischsteak oder Bouillabaisse ernähren.

Den Ozeanen, schreiben die Autoren, drohe „im Schwitzkasten der Klimakrise“ ohnehin der Kollaps: „Im Meer landet alles Gefährliche, vom ungeklärten Abwasser bis zum strahlenden Schrott aus Atomkraftwerken, von alten Munitionsbeständen bis zu toxischen Chemieabfällen.”

Und skrupellos leergefischt sind sie stellenweise auch. Weltweit liegt der Verbrauch an Fisch, lesen wir, bei 21 Kilogramm pro Jahr pro Person. Aber es reicht nicht mehr, trotz der bisweilen kriminellen „Raubzüge der industriellen Fischerei“.

Aixponic ist noch lange kein Big Business, kaum ein schmales und eigentlich auch noch kein Business. Allein die Jungfische aus Mittelmeer-Hatcheries, also Brutstätten für Fischeier, kosten 1,50 Euro das Stück. Jeden Tag gehen derzeit 23 Kilo Biofutter drauf. Aber Aixponic will expandieren. Container 2 soll in den Kreislauf integriert werden, darin wächst in Hydrokultur Meeresspargel, auch Queller genannt, der sich von den herübergepumpten Ausscheidungen der Doraden ernährt. Dieser jodreiche, salzige Spargel gilt als Bio-Superfood.

Das durch die Pflanzen gereinigte Wasser soll dann gefiltert zurückfließen in die Fischbecken. Dieses Wechselspiel ist auch das Prinzip der Haltungsform Aquaponic. „Aber so weit sind wir noch nicht ganz“, sagt Peter Becker. „Der hundertprozentige Umlauf birgt Gefahren. Und dieses extrem komplexe System muss immer ein perfektes Zusammenspiel haben, damit sich die Fische perfekt fühlen.“ Deshalb, so nennt er das, „fahren wir die Fische noch alleine“. Fachbegriff: entkoppeltes Aquaponic.

 

Jeder zweite Fisch aus Aquakultur

Die Aachener Zuchttüftler nennen ihre Firma „Pionier in der Indoor-Salzwasser-Aquaponik“. Meeresfisch ist übrigens anspruchsvoller als die Kombination aus Süßwassertieren, etwa Karpfen, und Tomaten oder Basilikum. Aber, sagt Becker noch, wenn es denn läuft, würde er als drittes Produkt am liebsten noch eine Muschelzucht in seinen Biokreislauf zwischenschalten.

Jeder zweite verkaufte Fisch stammt heute aus Aquakultur, die vor 30 Jahren noch fast unbekannt war. Diese großindustriellen Massenprodukte aus Unterwasser-Käfighaltung sind verseucht mit Unmengen Antibiotika, weil sich die Tiere, eng schwimmend zusammengepfercht wie in einer wässrigen Legebatterie, sonst gegenseitig vergiften würden. Und sie werden künstlich gemästet mit Turbofutter aus 16 Millionen Tonnen Fischmehl jährlich. Das entspricht etwa dem Gewicht aller in Nordrhein-Westfalen zugelassenen Pkw.

Bei der Aquakultur liegt der einst so edle Lachs ganz vorn, schreiben die Seenot-Autoren. Längst sei er zum „erniedrigten Mastschwein der Fischwirtschaft“ geworden. Wenn man dieses Buch liest, bleibt einem jede Gräte im Hals stecken, selbst wenn man gar keinen Fisch gegessen hat.

Das letzte Viertel des Buches widmet sich 21 Speisefischen in fachkundigen, teils launigen Portraits – vom Aal, dem „rätselhaften Dunkelwesen“, über die Sardelle („Kleiner Fisch – großes Maul“) bis zum Zander, dem „gestachelten Raubritter“. Überraschend fehlt: ausgerechnet die Dorade, eine der ganz großen Delikatessen.

Also Autoren, schaut auf dieses Avantis in Aachen. Weniger als ein halbes Prozent der Speisefische weltweit stammen aus bio-zertifizierter Aquakultur. Bei Aixponic sind es 100 Prozent. Ohne See, ohne Seenot. Peter Becker sagt: „Wir geben ein kleines Impact gegen die große Meereskrise.“ Und übrigens: Auf der Zunge sind die Öcher Doraden wahrlich eine Wucht.

 

Manfred Kriener/Stefan Linzmaier, Fisch in Seenot, 2024, 232 Seiten, 22 Euro

Öcher Doraden: aixponic.de

Bilder: Aixponic GmbH