RWTH-Forschende beim Projekt ThinIce in Kanada

RWTH-Forschung: Warum der Permafrostboden gefährlich ist

Published On: 21. August 2024

RWTH-Forschende untersuchen Umweltrisiken durch Bohrschlammgruben im Norden Kanadas. Auftauender Permafrost könnte Giftstoffe freisetzen.

Veröffentlichung der RWTH Aachen

In den arktischen Permafrostgebieten schlummern an tausenden Standorten zum Teil hochgiftige Industrieabfälle. Diese drohen, Ökosysteme und die lokale Bevölkerung zu gefährden, wenn der Dauerfrostboden durch die massive Erwärmung der Arktis zunehmend tiefer auftaut und instabil wird.

Derzeit untersuchen Expertinnen und Experten des Instituts für Geomechanik und Untergrundtechnik (GUT) der RWTH daher Schlammgruben im Mackenzie-Delta im kanadischen Northern Territory, in denen Rückstände aus Öl- und Gasexplorationen lagern.

Die Forschenden sind Teil eines internationalen Teams unter Führung des Alfred-Wegener-Instituts. Die Expedition ist Teil des Verbundprojektes „ThinIce“, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung mit 1,9 Millionen Euro gefördert wird.

Ziel des Projekts ist es, das Ausbreitungsrisiko der Altlasten und mögliche Umweltfolgen zu erfassen sowie Strategien für eine Risikominimierung zu entwickeln. Für die RWTH ist GUT-Institutsleiter Professor Raul Fuentes vor Ort, begleitet wird er von den GUT-Mitarbeitern Aaron Förderer und Neri Fromm.

Permafrostböden sind dauerhaft gefroren und stellenweise mehrere hundert Meter mächtig. Sie tauen nur im Sommer oberflächlich auf und galten lange Zeit nicht nur als stabiles Fundament für Häuser oder industrielle Infrastruktur, sondern auch als unüberwindbare Barriere für feste und flüssige Stoffe.

Entsprechend sorglos wurden in den vergangenen Jahrzehnten in den Permafrostgebieten der Arktis vielerorts Industrieabfälle in Gruben, auf Halden oder in geschlossenen Seen entsorgt, von schwermetallhaltigen Bergbauabfällen über giftige Bohrschlämme bis hin zu radioaktivem Müll.

Doch der Klimawandel, der im hohen Norden zwei- bis viermal so schnell voranschreitet wie im globalen Mittel, lässt den Boden immer tiefer tauen: Er wird instabil und durchlässiger. Somit könnten sich Altlasten in der Umwelt ausbreiten und Ökosysteme kontaminieren, welche auch Lebensgrundlage vieler Menschen sind.

Welche Gefahr geht von den Bohrschlammgruben aus?

Im Mackenzie-Delta im Nordwesten von Kanada wollen die Forschenden untersuchen, welche Gefahr von mehr als 200 Bohrschlammgruben ausgeht. „Die Gruben zeigen erste Anzeichen von Verfall, der die Umwelt beeinträchtigen könnte. Wir sammeln jedoch noch Proben und können noch nicht abschließend feststellen, was dort passiert“, erläutert Professor Fuentes den Zwischenstand.

An dem Forschungsprojekt ThinIce sind auch die TU Braunschweig mit Professorin Antje Schwalb und die Leibniz Universität Hannover mit Professor Georg Guggenberger beteiligt. Das Forschungsteam arbeitet dabei eng mit kanadischen Wissenschaftlern, regionalen Behörden und der Landesverwaltung der Inuvialuit Gemeinschaften zusammen.

„Im Mackenzie-Delta wurden in den 1970er bis 1990er Jahren etwa 230 Gruben ausgehoben, um Schlamm zu entsorgen, der bei Bohrungen nach Öl und Gas anfiel“, erklärt AWI-Forscher Moritz Langer aus der Abteilung Permafrost, der das Projekt leitet. Anschließend wurden die 100 bis 200 Meter großen Schlammteiche mit Sediment aufgeschüttet, sodass heute etliche kleine Hügel die Tundra zieren.

Doch unter den Hügeln lagert ein toxisches Gemisch: „Der Schlamm enthält neben Sediment und Gestein auch salzreiche oder kerosinhaltige Fluide, die Firmen bei den Bohrungen als Gefrierschutzmittel eingesetzt haben. Vor allem letztere sind umweltkritisch, weil sie im Boden von Mikroorganismen nur schlecht abgebaut werden“, sagt Langer. Professor Fuentes ergänzt: „Die Proben werden in das FrozenLab an unserem Institut transportiert, wo wir die mechanischen Eigenschaften der verschiedenen Böden weiter analysieren werden. Von besonderem Interesse ist dabei, die Auswirkungen von Salzen und anderen Schadstoffen im Boden und in der Permafrostschicht zu verstehen.“

Bis zu 20.000 kontaminierte Flächen

Die RWTH-Experten sind dabei hauptsächlich für die geotechnischen Aspekte des Projekts zuständig, von der Probenentnahme bis hin zur Charakterisierung der Schichten im Boden mit Hilfe dynamischer Penetrometer und geophysikalischer Instrumente. Ein weiteres Ziel des Projekts besteht darin, das Verhalten des Bodens aus geotechnischer Sicht zu modellieren, insbesondere in den Fällen, in denen Anzeichen für geotechnisches Versagen vorliegen, wie Tauwassereinbrüche oder Senkungen.

Dieses Wissen ist zum einen für die indigene Bevölkerung im Mackenzie-Delta relevant, da sich viele der kontaminierten Standorte in der Nähe von Siedlungen oder in Jagd- und Fischereigebieten befinden. Zum anderen könnten Erkenntnisse zur Freisetzung giftiger Substanzen aus kontaminierten Permafrostböden auch bei der Suche nach Lösungen für das Problem der Altlasten in anderen Regionen der Arktis helfen.

„In den arktischen Permafrostgebieten gibt es zirka 4.500 Industriestandorte und bis zu 20.000 kontaminierte Flächen“, sagt Moritz Langer. Diese Zahlen beruhen auf einer Studie, die er 2023 gemeinsam mit anderen Forschenden im Fachjournal Nature Communications veröffentlicht hat. Der Großteil der Industriestandorte entfällt dabei auf Alaska, Kanada und Russland. Zu den häufigsten Umweltgiften, die hier im Permafrost lagern, gehören Kraftstoffe wie Diesel und Benzin sowie Schwermetalle, darunter Blei und Quecksilber. Und mit fortschreitender Erwärmung der Böden und dem Verlust von Bodeneis steigt die Gefahr, dass die Umweltgifte freigesetzt werden.

Ähnlich wie im Mackenzie-Delta gibt es für viele industrielle Standorte und Aktivitäten in der Arktis nur unvollständige oder kaum öffentlich zugängliche Daten, was die Risikobewertung erschwert. „Umso dringender ist es, dass wir einen Überblick über Art und Ausmaß der Altlasten bekommen und Konzepte zur Sicherung und Sanierung entwickeln“, so Langer. Auch, da die Renaturierung kontaminierter Flächen immer teurer wird, je tiefer der Permafrost taut, oder gar unmöglich, wenn schwere Maschinen auf den instabilen Böden nicht mehr eingesetzt werden können.

Auf der Expedition im Nordwesten Kanadas untersucht das Forschungsteam die dortigen Bohrschlammgruben zunächst in einem großen Gebiet, das verschiedene Ökosysteme umfasst. Im Umfeld der Bohrschlammgruben werden Boden- und Wasserproben entnommen, um diese auf Schadstoffe zu analysieren. Zudem werden hydrologische und thermische Bodenmessungen durchgeführt und die Bohrschlammgruben mit Hilfe von Drohnen detailliert vermessen.

2025 sollen dann auf weiteren Expeditionen an ausgewählten Standorten gezielt Proben genommen werden. Die Ergebnisse aus dem Projekt sollen als Grundlage dienen, um zusammen mit den lokalen Partnern Strategien zu erarbeiten, die das Risiko durch austretende kontaminierte Bohrfluide minimieren.

 

Bild: Professor Raul Fuentes (rechts) und Aaron Förderer untersuchen den Permafrostboden zwischen den Städten Inuvik und Tuktoyaktuk in den Nordwest-Territorien, Kanada.